Rezension: „Baba Dunjas letzte Liebe“ (Alina Bronsky)

Manchmal sucht sich das Buch den Leser und nicht umgekehrt: Eine sehr liebe Freundin hat dieses Buch für mich zu Weihnachten bei LovelyBooks gewonnen. Nach vielen begeisterten Stimmen und Rezensionen in den letzten Monaten war ich sehr neugierig darauf, habe aber immer eine andere Ausrede gehabt, es mir nicht selbst zu kaufen. Von der Größe des SuB bis hin zum mangelnden Kleingeld, gab es allerlei Gründe. Ich bin froh, dass das Buch dennoch bei mir eingezogen ist. Danke, liebe Simone!

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(Foto: Privat)

Inhalt:

Baba Dunja lebt in Tschernowo, in der Todeszone, die nach dem Reaktorunglück noch auf Jahrhunderte verstrahlt sein wird. Auch eine Handvoll anderer Menschen lebt dort – die meisten krank oder alt wie sie. Sie bilden eine Gemeinschaft, ohne viel gemeinsam zu tun. Dort, wo alle Welt Strahlung, Riskio und Tod erwarten, findet Baba Dunja in hohem Alter Selbstbestimmung, Zufriedenheit und so etwas wie Glück. Sie hat immer zu tun: Ihr Garten versorgt sie mit Lebensmitteln und Brunnenwasser. Die auf ihre Art verschrobenen Nachbarn, die manchmal vorbeikommenden Toten und die paar Tiere im Ort bilden eine ganz eigene Gemeinschaft. Baba Dunja schreibt Briefe an ihre Tochter, und denkt über ihre Enkelin nach, die sie nie kennengelernt hat.

Der Alltag wird durchbrochen von der Ankunft eines Fremden, der die Auflösung der Dorfgemeinschaft und das Ende Baba Dunjas Selbstbestimmung bedeuten könnte. Es könnte alles anders werden.

Mein Eindruck:

Gleich von der ersten Seite an hat mich die ruhige und klare Sprache von Alina Bronsky bezaubert. Während des Lesens lässt diese Sprache einen in eine ganz eigene Stimmung tauchen, so, wie Tschernowo eine ganz eigene Welt ist. Auf den Seiten des Buches ticken die Uhren langsamer und manchmal hatte ich das Gefühl, die lauten Vögel Tschernowos beim Lesen wirklich hören zu können. Dieses Dorf, das eigentlich so bedrohlich wirken müsste, weil es verstrahlt ist, wirkt vielmehr wie die perfekte Idylle, wie eine Utopie, in der jeder selbstbestimmt leben und die Natur genießen kann. Blickt man dann auf und realisiert, dass man in einer lauten und gestressten Stadt lebt, kann sich das beinahe wie ein kleiner Kulturschock anfühlen.

Baba Dunjas Gedanken sind pragmatisch, schnörkellos und manchmal doch etwas verschroben – und genau das macht sie so sympathisch. Sie ist irgendwie ein Mädchen geblieben – oder es wieder geworden – und hat dabei eine meist stille Weisheit an sich, dass es nur logisch ist, dass das ganze Dorf sie als eine Art Bürgermeisterin ansieht. Was mich besonders fasziniert hat, ist, dass Baba Dunja selbst diese Ansicht überhaupt nicht teilt. Sie kennt ihre eigenen Schwächen und ist besonders streng mit sich selbst. Die Idee, die Ratgeberin ihrer Nachbarn zu sein, scheint geradezu befremdlich auf sie selbst zu wirken. Genau diese echte Bescheidenheit und die selbstkritische Art zusammen mit ihren klugen Gedanken machen Baba Dunja besonders sympathisch. Man möchte sie eigentlich – wie die eigene Oma – fest umarmen, ihr einen Tee kochen und sie bitten, von früher zu erzählen.

Sehr berührend ist auch Baba Dunjas Verhältnis zur eigenen Familie. Kontakt hat sie eigentlich nur zu ihrer Tochter, sie schreiben sich Briefe. Nach und nach zeigt Alina Bronsky auf sehr sensible Art und Weise, was sich über Briefe kommunizieren lässt und was nicht. Wo zieht man Grenzen beim geschriebenen Wort? Was unterschlägt man? Was betont man ganz besonders? Gerade die Briefe, die Baba Dunja erhält und schreibt, lassen die ganze Geschichte noch lebendiger wirken.

Auch die übrigen Bewohner Tschernowos habe ich auf Anhieb ins Herz geschlossen. Jeder hat eine ganz eigene Geschichte, einen ganz eigenen Charakter und gerade durch die Situation, in die der Fremde die Dorfgemeinschaft bringt, merkt man, dass es sich um eine Gemeinschaft handelt. Auch, wenn Tschernowos Bewohner bisher eher nebeneinander als miteinander gelebt haben.

Fazit:

„Baba Dunjas letzte Liebe“ ist ein sehr berührender Roman über das selbstbestimmte Leben, die Gemeinschaft und die Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Das fängt bei der unsichtbaren Gefahr in Tschernowo an und endet auch bei den Briefen nicht. Ich selbst musst ein wenig über das Ende nachdenken, denn zunächst fand ich es irgendwie zu abrupt. Ich hätte zu gerne noch mehr über Baba Dunja und die weiteren Ereignisse gelesen. Aber dann fand ich es doch passend – gerade weil es ein wenig so wirkt, als sei die alte Dame nun des Publikums überdrüssig und ziehe es vor, ohne Beobachter weiterzuleben.

So vielschichtig, wie dieses Buch ist, möchte man es immer wieder zur Hand nehmen und erneut lesen – zum Glück ist das ja jederzeit möglich.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:

  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch (17. August 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3462048023
  • ISBN-13: 978-3462048025

 

2 Gedanken zu “Rezension: „Baba Dunjas letzte Liebe“ (Alina Bronsky)

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