Rezension: „Gefährliche Wahrheiten“ (Megan Miranda)

Kurz vor Weihnachten erreichte mich noch ein Überraschungspaket aus dem Carlsen Verlag (Dankeschön!) und am zweiten Feiertag wollte ich, nachdem der übliche Feiertagstrubel vorbei war, „nur mal kurz“ reinlesen, um zu erfahren, was ich da überhaupt für ein Buch bekommen hatte. Aus dem „kurz mal reinlesen“ wurden schließlich 70 Seiten und am Folgetag eine halb durchlesene Nacht.

Wenn Ihr nun wissen wollt, was für eine Geschichte mir den Schlaf geraubt hat, dann lest weiter:

(Foto: S. Schückel)

Inhalt:

Die 17-jährige Kelsey wächst mit einer ständigen diffusen Angst auf, lebt in Routinen und versucht, möglichst nicht aufzufallen. Der Grund ihrer Angst liegt in der Vergangenheit ihrer Mutter: Diese wurde, als sie so alt war wie Kelsey, gekidnappt und konnte nur mit viel Glück entkommen. Die Angst – vor allem, was passieren könnte – bestimmt ab da ihr Leben und auch das ihrer Tochter. Unauffällig Leben lautet die oberste Regel.

Doch Kelsey nur knapp einen Unfall überlebt, stürzen sich die Medien auf sie und dann ist ihre Mutter plötzlich verschwunden.

Mein Eindruck:

Kelsey scheint, unter der Angst, die sie durch ihre Mutter verinnerlicht hat, ein ganz normaler Teenager sein zu wollen. Es gibt da diesen Jungen, Ryan, den sie mag – aber dadurch, dass sie ihr ganzes Leben damit verbracht hat, möglichst nicht aufzufallen, weiß sie nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen soll. Das ganze Buch ist von diesem Spannungsgefüge zwischen der Angst auf der einen Seite und dem Wunsch nach Normalität auf der anderen Seite geprägt.

Angst ist ein sensibles Thema, das auf jeden anders wirkt. Der eine kennt Angst „nur“ im herkömmlichen Sinn als Warnmechanismus vor Gefahr, wieder andere haben – mehr oder weniger ausgeprägte – Phobien und wieder andere kämpfen mit immer wiederkehrenden Phasen von Ängstlichkeit. Dass Ängste von Eltern sich auch auf Kinder übertragen können ist dabei klar. Im Buch wird immer wieder darauf verwiesen, dass Angst auch genetisch vererbbar ist, d.h. dass sich manche Ängste quasi in die DNA des Kindes „einbrennen“ und der Nachwuchs ähnliche oder gleiche Ängste entwickelt. Eine kurze Recherche ergab, dass diese Prämisse durchaus erforscht wird, was ich sehr interessant finde.

Den Umgang mit der Angst von Kelseys Mutter fand ich schwierig. Kelsey bringt viel Verständnis für ihre Mutter auf – von den wenigen Außenstehenden, die davon wissen, kommt jedoch häufig nur Unverständnis und Verachtung. Das mag durchaus realistisch sein, da Angststörungen immer noch stark stigmatisiert sind und Menschen, die sich Hilfe suchen, schnell als „verrückt“ abgetan werden, insgesamt ist diese Darstellung jedoch auch problematisch. Dadurch, dass nur Kelsey ihre Mutter unterstützt und ihre Ängste versteht und ihr eigenes Leben diesen Ängsten in weiten Teilen unterordnet, wirkt die Dynamik zwischen Mutter und Tochter reichlich ungesund. Wer zwischen den Zeilen liest, merkt jedoch, dass die beiden durch viel Liebe und Vertrauen verbunden sind und die Mutter sich sehr bemüht, Kelsey ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, auch wenn ihr die Angst vor der eigenen Vergangenheit genau das Gegenteil rät. Diese Aspekte hätten in meinen Augen noch stärker herausgearbeitet werden müssen, damit Kelseys Mutter eben nicht als verrückte Rabenmutter rüberkommt.

Abseits von der Angst-Thematik ist das Buch ein rasanter Thriller, der nicht nur durch Spannung, sondern auch durch die flapsigen Gedanken Kelseys lebt. Ihr trockener Humor in Kombination mit der sehr schnell voranschreitenden Handlung, macht das Buch zum Pageturner.

Die eigentliche Dramatik des Buches wird dadurch ins Rollen gebracht, dass Kelsey einen Autounfall überlebt, der ein wahres Medienfeuer auslöst. Kelseys Verhalten den Medien gegenüber ist reichlich naiv, aber da das zu ihrem Werdegang passt, hat mich das nicht sonderlich gestört – auch wenn das Verschwinden der Mutter (das ja schon im Klappentext angekündigt wird), das daraus resultiert, sehr vorhersehbar ist.

Das was dann folgt, ist wesentlich weniger vorhersehbar und Megan Miranda wirft auf fast jeder Seite des Buches neue Fragen auf oder bringt ihre Charaktere in reichlich brenzlige Situationen. Das Erzähltempo ist dabei so rasant, dass man nicht einmal nach dem guten alten Prinzip „nur noch ein Kapitel“ vorgehen kann, sondern das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Die Autorin setzt dabei auch etwas um, das mir bei Büchern sehr wichtig ist: Die Charaktere entwickeln sich weiter.

Ein kleiner Kritikpunkt zum Schluss, der das Lektorat betrifft: Liebe*r Lektor*in, bitte sorg dafür, dass in der nächsten Auflage statt „wegen mir“ „meinetwegen“ im Buch steht. Danke!

Fazit:

Megan Miranda hat mit „Gefährliche Wahrheiten“ einen rasanten Jugendthriller geschrieben, der zugleich das schwierige Thema der Angst anspricht. Die Darstellung der Ängste von Kelseys Mutter hätte sicher noch etwas ausgewogener sein können – vielleicht hätte dann aber die Geschwindigkeit der Handlung darunter gelitten. Auf jeden Fall ist es ein Buch, das Spaß macht und gleichzeitig doch auch zum Nachdenken anregt.

Dafür gibt es von mir 4 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:*

  • Preis: 12,99€
  • Taschenbuch: 336 Seiten
  • Verlag: Carlsen (21. Dezember 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3551316422
  • ISBN-13: 978-3551316424
  • Originaltitel: The Safest Lies
  • Übersetzerin: Birgit Maria Pfaffinger

 

 

4 Gedanken zu “Rezension: „Gefährliche Wahrheiten“ (Megan Miranda)

  1. Klingt auf jeden Fall interessant! Bin aber etwas unsicher ob das Buch auch mich abholen kann … Wenn ein Thriller bestimmte Thematiken behandelt (wie hier Angststörung/Angstzustand) dann in ich ja gerne mal kritisch – aber auch nicht, wenn das Gesamtpaket stimmt – oh wie unverständlich ich mich ausdrücken kann *lach
    Kommt auf jeden Fall auf den Merkzettel 😉

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    • Hihi, ich weiß, wie Du es meinst. Es passte hier irgendwie alles zusammen – auch wenn die Angststörung vielleicht noch mehr hätte beleuchtet werden können. Das hätte dann aber vermutlich das Gesamtpaket wirklich gestört, denn der Fokus vom Buch ist ja auf dem Thriller-Element. Ob das mit der Sensibilität, die man bei dem Thema braucht, zusammengepasst hätte…. ich weiß nicht. Aber an Spannung mangelt es zumindest nicht 😉

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      • Na zum Glück verstehst du mich 😀
        Und den Titel merk ich mir auf jeden Fall – ich find ja schon das sich ein Thriller intensiver mit solchen Thematiken beschäftigen darf, wenn es in der Umsetzung stimmt (Thrill-Anteile und nicht überzogen)

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  2. Pingback: Megan Miranda: Gefährliche Wahrheiten [Rezension] | Tintenhain - Der Buchblog

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