Rezension: „Gutenberg’s Apprentice“ (Alix Christie)

Eine meiner Geschichtslehrerinen fragte einmal: „Was ist, eurer Meinung nach, die wichtigste Erfindung der Menschheit?“

Es folgten viele naheliegende Erfindungen und Entdeckungen: Penicillin, das Rad oder auch das Handy. Als ich an der Reihe war, nannte ich die für mich offensichtlichste Erfindung: Der moderne Buchdruck mit beweglichen Lettern.

Als ich vor einigen Wochen „nur mal so“ in einer Buchhandlung stöbern wollte, wurde ich – wie soll es auch anders sein – prompt fündig: „Gutenberg’s Apprentice“ hieß es auf dem Cover, das noch dazu einladend in der Sonne glänzte. Neugierig nahm ich es in die Hand und war sofort fasziniert: Der Buchschnitt erinnerte mich an historische Bücher, deren Seiten noch nicht glatt mit der Maschine geschnitten waren, das Papier fühlte sich weich an und beim Aufblättern entdeckte ich die liebevolle Gestaltung des Satzes. Ich überlege mir normalerweise bei jedem Buch – und sei das Cover noch so hübsch – sehr genau, ob es bei mir einziehen soll. Hier muss ich jedoch zugeben: Bereits bevor ich den Klappentext las, war ich zu 90% überzeugt, dieses Buch mitnehmen zu wollen.

Der Klappentext besiegelte dann das Schicksal meines protestierenden Geldbeutels.

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(Foto: Privat)

Inhalt:

Peter Schöffer (im Buch Schoeffer) ist Schreiber. In dieser Aufgabe geht er vollkommen auf – er liebt die Schönheit der Buchstaben und der Kunst, diese entsprechend ihrer Verwendung zu malen. In Paris hat er die Aussicht auf eine prestigeträchtige Stelle, als sein Stiefvater ihn zurück nach Mainz holt.

Johann Fust ist Händler und hat Peter, den Sohn der Schwester seiner ersten Frau in der Absicht großgezogen, dass dieser ihm stets zu Diensten ist. Als er Johannes Gutenberg kennenlernt und von dessen verwegener Idee erfährt, Worte zu drucken, statt sie zu schreiben, ist er Feuer und Flamme. Für ihn ist klar, dass sein Ziehsohn bei Gutenberg zur Lehre gehen wird – entgegen aller Widerstände auch von Peter selbst.

Peter findet sich in einer Situation wieder, die er zunächst hasst: Gutenberg ist kein angenehmer Meister, den Buchdruck findet er anfangs teuflisch und die Schachfigur seines Stiefvaters zu sein, kann er ebenfalls nicht leiden.

Doch nach und nach erkennt er, welche Bedeutung ihre Arbeit hat und welchen Einfluss sie damit haben werden. Parallel zu dieser Erkenntnis, muss er aber auch erkennen, dass die weitreichenden Folgen des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durchaus auch Feinde haben könnte. Die Kirche sieht es als ihr Privileg an, im Besitz von Büchern und Schreibern zu sein.

Peter findet sich in jeder Hinsicht in einem Zwiespalt wieder: Zwischen dem, was Johann Fust als Geldgeber verlangt und dem, was Johannes Gutenberg als Meister erwartet. Zwischen dem Ziel, das der Buchdruck erreichen soll und den Gefahren durch die Obrigkeit. Und zwischen dem, was er selbst für sein Leben erreichen möchte und dem, was sein Stiefvater für ihn vorgesehen hat.

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(Foto: Privat)

Mein Eindruck:

Wie bereits oben erwähnt, bin ich absolut begeistert von der wunderbaren Aufmachung des Buches. Man hat irgendwie das Gefühl, ein ihm wahrsten Sinne „historisches“ Buch in den Händen zu halten. Zwar ist der Inhalt bei einem Buch entscheidend, jedoch ist es natürlich immer schön, ein außergewöhnlich gestaltetes Exemplar in der Hand zu halten. Und bevor hier die Fraktion der E-Book-Verweigerer um die Ecke kommt: Ich bin mir sicher, auch in elektronischer Form lässt sich zumindest die Liebe zur Typografie wunderbar umsetzen.
Sowieso ging mir beim Lesen die Diskussion um die Vor- und Nachteile von digitalen bzw. analogen Büchern nicht aus dem Kopf. An manchen Stellen – in den kleinkarierteren Ecken des Internets – hat man ja beinahe den Eindruck, dass die Entscheidung für oder gegen E-Books eine Art Glaubensangelegenheit ist.

Erschreckend ähnlich verhält es sich in diesem Buch: Peter Schöffer hält gedruckte Buchstaben zunächst für teuflisch, wertlos – ja, schlicht und ergreifend gottlos. Die Schönheit Gottes, so denkt er, zeigt sich in der Schönheit der Buchstaben, die von Schreibern in mühsamer Arbeit auf Papier und Pergament gezeichnet werden. Die ersten gedruckten Buchstaben, die er zu Gesicht bekommt, wirken dagegen roh, ungehobelt, ungeschickt und einfach nur hässlich.

The world is flooded now with crude words crudely wrought, an overwhelming glut of pages pouring from the scores of presses springing up like mushrooms after rain.

(S.53)

Es ist leicht, hier Parallelen zur Diskussion um die „Schönheit“ von digitalen Büchern zu ziehen. Kritiker bemängeln ja hauptsächlich, dass die Haptik ebenso fehle, wie der Geruch bedruckten Papiers – oder, dass E-Books als Massenware den Wert schriftstellerischer Arbeit senken dürfen. Das ähnelt schon sehr Peters Bedenken, dass die Buchstaben nicht schön genug seien, und dass die massenhafte Verbreitung der Worte ihnen ihre Seele nehmen könne.

In der Erzählung der Ereignisse um Gutenberg und wie er seinen Buchdruck versuchte durchzusetzen, spielt auch häufig die Religion eine große Rolle. So empfindet Peter bewegliche Lettern zunächst als etwas Gottloses – im Laufe der Zeit kommt er aber zu der Überzeugung, dass diese Erfindung Gottes Wille sei. Alix Christie zeigt hier in dem Verhalten ihrer – historisch verbrieften – Figuren, sehr anschaulich den Zeitgeist des 15. Jahrhunderts. Ich bin keine Historikerin und kenne mich mit dieser Zeit nur grob aus, hatte jedoch stets das Gefühl, dass alle Fakten sehr genau und gründlich recherchiert sind – was die Autorin auch am Ende des Buches in einem Nachwort betont.

Durchaus könnte man nun einwenden, dass wir alle das Ergebnis von Gutenbergs Arbeit kennen: Die berühmte Gutenberg Bibel, die einen zentralen Punkt im Buch ausmacht, sagt vermutlich jedem etwas, und dass sich der Buchdruck mit beweglichen Lettern durchgesetzt hat, ist auch kein Geheimnis. Und es geht zwar auch um das Privatleben von Peter Schoeffer, jedoch ist dies nicht – wie in manchen Büchern des Genres – der Dreh- und Angelpunkt des Spannungsbogens. Weshalb hat mich das Buch also dennoch so fesseln können?

You can’t imagine it, perhaps, but I can. Books everywhere, and costing less than manuscripts – in quantities that simply stun the mind. Imagine how the world would look if anyone could by one.

(Johann Fust, S. 50)

Es sind genau drei Faktoren, die diese Geschichte für mich so faszinierend machte: Zunächst interessierte mich natürlich der Buchdruck an sich. Wie viele andere Büchermenschen auch, finde ich Geschichten über Bücher und ihre Entstehung sehr interessant – und die technischen Details des Buchdrucks ist hierbei natürlich ganz besonders spannend. Dieser Punkt wirkt totz der detailgetreuen Beschreibungen nie langweilig oder unnötig – Alix Christie hat das immer beiläufig in die Handlung einfließen lassen. An die Thematik schließt sich der zweite Punkt an, der für mich das Buch zu einem sehr guten macht: Die Erzählung beschreibt ausführlich, welche verschiedenen – großen und kleinen – Widerstände Peter Schöffer, Johann Fust und Johann Gutenberg zu überwinden hatten. So viele Details hört man nie im Geschichtsunterricht. Und zu guter letzt handelt es sich um eine sehr greifbare Erzählung, die das damalige Zeitalter mit allen Sorgen und Nöten – aber auch mit all seiner Hoffnung – lebendig wirken lässt. Die einzige Frage, die sich dann am Ende noch stellt, ist nur, ob die Charaktere der Personen wirklich so waren, wie hier beschrieben.

Fazit:

Ich kann dieses Buch wirklich jedem empfehlen, der sich für Gutenberg und den Buchdruck interessiert. Bis jetzt ist es leider nur auf Englisch erschienen, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass auch bald ein deutscher Verlag anbeißt. Für diejenigen, die sich an das Original heranwagen möchten, sei gesagt, dass man es mit guten Englischkenntnissen durchaus verstehen kann.

(Zum besseren Einschätzen: Ich lese regelmäßig auf Englisch und gucke auch TV-Serien lieber im Original. Manche historische Vokabel musste ich nachschlagen, das hat den Lesefluss aber nicht wesentlich gestört.)

Ein einziger Kritikpunkt bleibt für mich am Ende dann aber doch: Manchmal hat Alix Christie ihre Figuren über historische Zusammenhänge sprechen lassen, bevor diese eingehend erläutert wurden – was für mich, die ich mich in der Zeit nunmal nicht sonderlich auskenne, das Verstehen des vorangestellten Dialogs erschwert hat. Da musste ich ein paar Mal zurückblättern, um im Nachhinein zu verstehen, worum es ging.

4 von 5 Sternen.

Weiteres zum Buch:

  • Preis: 11 € (Thalia vor Ort, bei Amazon 26 € – Preise variieren stark)
  • Broschur mit rauem Buchschnitt: 416 Seiten
  • Verlag: Harper (23. September 2014)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0062336010
  • ISBN-13: 978-0062336019
  • Größe und/oder Gewicht: 15,2 x 3,3 x 22,9 cm

Gutenberg’s apprentice zählt für mich in der Reading Challenge 2015 als A book based on a true story.

7 Gedanken zu “Rezension: „Gutenberg’s Apprentice“ (Alix Christie)

  1. Hallo Sarah 😉
    ich durfte das Buch ja bei dir schon in den Händen halten und warte vielleicht, bis es auf Deutsch erscheint, denn mein Englisch ist zwar vorhanden, aber nicht so mega. 😀
    Bei den historischen Ereignissen hätte ich dagegen ein paar weniger Probleme. 😛
    Auf jeden Fall hat mir deine Rezension sehr gut gefallen und die Diskussion zwischen Geschriebenem und Gedrucktem Wort / Buch und eBook fand ich gut. Dann eigentlich sind wir bei dem gleichen Punkt ja gerade wieder angelangt.
    Liebe Grüße
    Jule

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  2. Pingback: [Die Sonntagsleserin] September 2015 | Phantásienreisen

  3. Hallo Estel,

    jetzt habe ich mir diese Rezension herausgepickt und bin ganz verzaubert. Du bist völlig zurecht zu meinen <3-Blogs gerutscht. Du schreibst sehr schön über das Buch, beschreibst sehr klar, worin du die stärken und schwächen siehst und hast meine Wunschliste erweitert. Leider muss ich aufs Deutsche warten, weil mein Englisch bei weitem nicht ausreichend ist.

    Liebe Grüße
    Henrik

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    • Hallo Henrik,

      ach das freut mich 😀 Immer, wenn ich jemanden von einem Buch überzeugen kann, find ich das ganz toll – auch, wenn ich ja doch ein schlechtes Gewissen habe, dass Du auf eine deutsche Version warten musst 😉

      Und vielen Dank – ich freue mich sehr, dass meine Schreibweise Dir gefällt. Solche Kommentare sind es, die mich gerne die ganze Zeit investieren lassen, passende Formulierungen zu finden ^^

      Liebe Grüße
      Sarah

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