Rezension: „GRM – Brainfuck“ (Sibylle Berg)

Bei diesem Buch weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Also nehme ich einfach mal die Eckdaten:

GRM – Brainfuck von Sibylle Berg habe ich bereits vor dem #DickeBücherCamp von Nordbreze angefangen, aber die >600 Seiten dann nach einer Pause während der Aktion beendet. Das Buch ging bereits kurz nach dem Erscheinungstermin in die nächste(n) Auflage(n) und gehört damit zu den Hype-Büchern des Frühjahrs. Mich hat die Kurzbesprechung von Maria bei den „Letzten Lektüren“ (Ihr erinnert Euch – einer meiner liebsten Podcasts) überzeugt, trotz des Hypes zuzugreifen.

An dieser Stelle einen lieben Dank an den KiWi-Verlag, der mir das Rezensionsexemplar zukommen ließ.

Foto von Buch auf Holzhintergrund

(Foto: S. Schückel)

Ein Backstein von einem Buch

Während sich manche Leser*innen Bücher aussuchen, die für sie eine Axt darstellen (Ihr wisst schon, Kafka…), ähnelt dieses Buch eher einem Backstein. Denn man ins Gesicht bekommt. Mehrfach.

Ja, dieses Buch verdient eine Trigger-Warnung, denn es ist wirklich so heftig wie der „Brainfuck“-Teil des Titels es vermuten lässt. Deshalb lest dieses Buch wirklich nur, wenn es Euch emotional einigermaßen gut geht und Ihr jemanden habt, der Euch im Zweifelsfall auch wieder auffängt, sollte Euch das Buch doch zu stark an die Nieren gehen.

Bei mir war genau das der Fall, weshalb ich eine etwas längere Lesepause eingelegt habe. Sprachlich gesehen ist das Buch nämlich eine Wucht und hat eine ganz eigene Faszination auf mich gehabt. Sibylle Bergs Worte sind oft heftig, ihre Sätze dabei teilweise abgehackt oder zerhackt, so als wäre Grammatik nur eine Richtlinie aber kein Gesetz. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass ich keinerlei Ahnung von Musik habe, mir wurde jedoch gesagt, dass die Sprache an die Musikrichtung Grime angelehnt sei, die nicht nur im Titel steckt, sondern auch von den Jugendlichen im Buch gehört wird.

Statt Kapiteln im eigentlichen Sinne blendet Berg fließend von Figur zu Figur, stellt diesen jeweils einen kurzen aber sehr intimen Steckbrief voran (Kaufinteressen, Sexualität, Vermögen, Gesundheitszustand etc.) und leitet meist mitten im Satz von einer Person zur nächsten. Und zwar so, dass ein Teil des Satzes sowohl zu Figur A als auch zu Figur B passt. Dadurch bleibt viel unausgesprochen, denn man erfährt oft nicht, wie die Sequenz bei Figur A weitergegangen wäre – wesentlich häufiger geht sie jedoch mit scheinbar großem Vergnügen ins Detail.

Ich weiß nicht, ob Sibylle Berg möchte, dass man ob der Gewalt und der oft sehr perversen Fantasien ihrer Charaktere erschrickt (habe ich getan), dass einem übel wird (dito), oder aber dass man abstumpft (auf keinen Fall). Erinnert Ihr Euch an meine Rezension zu „Und es schmilzt“ von Lize Spit? Ähnlich wie dort – nur auf wesentlich mehr Seiten – gießt Sibylle Berg Grausamkeiten und Irrsinn in ihr Buch.

Sie lässt die Geschichte dabei zunächst sehr dystopisch wirken – eigentlich geht die Schere zwischen unserer Realität und der Buchrealität sogar immer weiter auf – und doch werden die Parallelen zwischen den beiden Welten in Bezug auf Technologie- und Gesellschaftsentwicklung bedrückend klarer, je weiter man im Buch vorankommt. Ob künstliche Intelligenz, Überwachungsmöglichkeiten seitens des Staates, dem gläsernen Menschen, Drohnen, Rassismus und Sexismus (sowie weitere -ismen) in ach so sozialen Netzwerken und im echten Leben… Sibylle Berg hat letztlich alle schlechten Nachrichten der vergangenen Monate und Jahre zusammengefügt und die erschreckendste aller Zukunftsvisionen draus extrapoliert.

Zu nah an der Realität?

Mir ist durchaus bewusst, dass es eine gewisse Ironie besitzt, im Internet über ein Buch zu schreiben, welches die Entwicklung die vor allem das Internet aktuell nimmt und in unserer Gesellschaft befeuert, stark kritisiert. Vielleicht hat mich das Buch deshalb so bedrückt, dass ich eine Pause brauchte bzw. zum Schluss von der Gewalt allem und jedem gegenüber nur noch genervt war. Ich glaube aber nicht, dass das das Ziel der Autorin war. Sie hat ein Buch geschrieben, das sprachlich brilliant ist und in all seinen Extremen ausgehalten werden muss.

Was mich wohl am meisten gestört hat – was aber vermutlich von Sibylle Berg beabsichtigt war – ist, dass den Figuren, die zunächst Kinder sind und deren Aufwachsen man begleitet, zunehmend jegliche Menschlichkeit verloren geht. Damit, so mein Eindruck, geht auch jegliche Hoffnung verloren, dass diese Gesellschaft sich noch einmal erholen könnte. Wenn man nun bedenkt, dass Berg unsere aktuelle Gesellschaft überspitzt und in jeglicher Hinsicht auch pervertiert darstellt, dann ist das eine sehr bedrückende Zukunftsaussicht.

Nennt mich gerne naiv, aber ich für meinen Teil benötige sowohl Hoffnung als auch Menschlichkeit.

Mehr zum Buch:*

Edit: Im Eifer des Gefechts habe ich es doch glatt vergessen, ein paar Rezensionen meiner Bloggerkolleg*innen zu verlinken.

Kerstin auf Frauenleserin | Janine auf Frau Hemingway |

  • Preis: 25 Euro
  • Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3462051431
  • ISBN-13: 978-3462051438

4 Gedanken zu “Rezension: „GRM – Brainfuck“ (Sibylle Berg)

  1. Pingback: #WirLesenFrauen – ich bin (endlich) dabei | Studierenichtdeinleben

  2. Liebe Sarah,

    das Buch steht noch auf meinem Wunschzettel. Sowohl, weil ich Frau Berg cool finde, als auch, weil es alle, denen ich auf diversen Kanälen folge, gut finden – einschließlich Frau Piwowarski ;).
    Ich gestehe aber, dass ich beim Buchkauf zumeist auf das TB warten muss, sofern ich es nicht gewinne, *schäm*. Also bleibt die Vorfreude…

    Liebe Grüße,
    Simone.

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  3. Danke für deine Besprechung; für mich ist das Buch wohl nichts. Bei deinem Vergleich mit Lize Spit war ich raus. Das war im Nachhinein zwar auch ein gutes Buch, aber danach brauchte ich eine lange Pause von Geschichten dieser Art.
    Viele Grüße
    Jana

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  4. Wie Du, liebe Sarah, versuche ich ganz wenige Bücher zu kaufen und halte mich sonst gern an Täusche oder an Lovelybook ;). GRM ist wohl so ein Werk, auf das ich gespannt bin und mir dann als TB leisten werde. Leider kann ich sonst gar nicht mir neue HC leisten.

    Lieber Gruß,
    Simone.

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